engel in krumlov

Sie waren wieder da.
Ich hatte sie gerufen.


Mein Leben nimmt grad so viele Wendungen, ich bin in steter Bewegung, Entwicklung auf allen Ebenen. Ja, und so dachte ich vor ein paar Wochen, dass es schön wäre, wenn sie wiederkämen.

Ein paar Tage später erhielt ich ein sms von einer alten Freundin, mit der ich gut drei Jahre keinen Kontakt mehr hatte.
Marie schrieb kurz:
Chère Mirjana, une pensée toute particulaire pour toi car il m’a été proposé de recevoir les 5 hôtes prestigieux que tu m’avais adressé en 2014… Mémorable souvenir… J’ai pensé que peut-être tu aimerais toi aussi revivre cette expérience sauf si tu as évolué vers d’autres voies…

Liebe Mirjana, ich denke ganz besonders an dich, denn es wurde mir angeboten, die 5 hochgeschätzten Gäste zu empfangen, die du mir 2014 geschickt hast… Welch eindrückliche Erinnerung… Ich dachte, dass du vielleicht auch wieder Lust hättest auf diese Erfahrung, ausser du bist inzwischen auf anderen Wegen unterwegs…

Ich sass am Steuer, irgendwo in Österreich, hielt schnurstracks an und antwortete ihr, dass ich mit Freuden die 5 Erzengel wieder empfangen würde, ich hatte erst vor wenigen Tagen um sie gebeten. 

Mein Herz jauchzte vor Glück.

Ich nahm die Termine entgegen, Marie schickte mir das begleitende Protokoll, und ich trug meinen Besuch in den Kalender ein.
Herrjeh, sie sollten in meinen verplantesten Tagen kommen. Letzter Basiskurstag in Miesenbach, dann drei Maltage, dann hatte ich gleich wieder einen Termin.
Ok.
Ich wollte sie unbedingt, also würde ich sie in meinen Alltag integrieren, wie auch bereits vor vier Jahren.

Diesmal stand im Protokoll, dass man sie ein zweites Mal zu sich einladen könnte, vorausgesetzt man schickte sie einem Menschen, der sie anschliessend an uns zurückschickte.
Im Strudel meiner Miesenbachtage keimte dieser Wunsch in mir.
Und ich organisierte einen Zweitbesuch.
Diesmal in ruhigerer Umgebung, nur mit mir selbst.

Da bin ich gerade.
In Krumlov.
Alleine.
Beziehungsweise himmlisch begleitet.


Mein neues Leben im Van war von Anfang an auch eine Auseinandersetzung mit meiner Spiritualität. Ich glaube inzwischen, dass das Loslösen von Material etwas in dieser Richtung in Gange bringt.

Wenn wir uns tatsächlich nicht mehr übers Haben definieren können, dann erschliesst sich uns ein neuer Raum, der nur noch im Sein ist.

Leicht gesagt, wie immer, gell?

Ich war noch nie ein Besitzmensch, habe mich noch nie über Besitz definiert, und doch stürzte mich das konkrete und radikale Reduzieren zum Jahreswechsel in eine tiefe Krise.

Ich fiel ins Bodenlose.

Material, egal welcher Art, ermöglicht uns das Festhalten.
Ich hatte plötzlich keinen Halt mehr.

Seitdem ich auf der Strasse lebe, seitdem ich mich nahezu täglich mir selbst in Reinform stellen muss, da ich einfach nichts mehr habe, hinter dem ich mich verstecken kann, seitdem zersprengen viele meiner Ideen und Vorstellungen.

Ich erlebe die Welt und mich in einer nackenderen Form.
Nackt.
Nackter.
Am nacktesten.

So ein Blödsinn. Als ob jemand nackter als nackt sein könnte.
Und doch ist es so.
Blechwände sind dünn, egal wie gut isoliert. Es bleiben Blechwände. Und wenn nachts jemand am Van rummacht, dann muss ich mich meiner Angst stellen, ob ich will oder nicht.

Ich bin nackter geworden durch dieses Leben.
Noch durchlässiger.
Ausgelieferter.
Und gleichzeitig vertrauensvoller und selbstbewusster. Intuitiver. Aufrechter.

Die Erzengel.

2014 ging ich diese Auseinandersetzung mit einer gehörigen Portion Skepsis an.
Diesmal stand etwas Anderes an. 
Auch wenn ich kein Mensch bin, der sich ständig mit himmlischen Energien befasst, so gab es diesmal keine Hürde zu überwinden. Ich fühlte mich fast wie ein alter Hase.

Warum mache ich das?
Warum lebe ich 5 Tage bewusst in der Verbundenheit mit 5 Erzengeln?
Und noch schlimmer?
Warum schreibe ich öffentlich darüber, damit mich dann auch wirklich alle für verrückt erklären?

Es ist mir heute tatsächlich komplett egal, was Menschen von mir denken.

Ich weiss um mich, meinen Wert, meine Kraft, meine konkrete Bodenständigkeit, mein Talent.

Doch ich weiss auch um meine Feinfühligkeit, um meine Ohren, die weit mehr hören als den meisten Mensch lieb ist, um meine Hände, die immer genau dahin wandern, wo ein schmerzhafter Knoten ist. Ich weiss um mein Vertrauen ins Leben, das nahezu unendlich erscheint.

Ich weiss um meine Intuition, meinen unfehlbaren Instinkt, ich weiss um das wilde Tier in mir, das all die gesellschaftlichen Funktionskrusten durchbrechen kann, um sich auf einer ganz rohen, fast primitiven Ebene dem Leben zu stellen.

Ich kann diesen Teil von mir nicht wegdrücken oder unter den Tisch kehren. Ich habe es versucht, doch das ist genauso hoffnungslos wie der Versuch, einen Furz einzusperren. Der Duft strömt unweigerlich hinterher.

Ich konnte nicht erkennen, was ich alles während des ersten Besuches in Miesenbach geleistet hatte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dachte ich hätte nicht genug gelacht, nicht genug meditiert, nicht genug Einkehr gehalten.

Das war mit ein Grund, warum ich einen zweiten Besuch wollte. Um es besser zu machen.
Und genau das war mein Thema, das ich durchwandern musste.

Genug sein.
Nicht genug sein.
Was für ein blödes beschränktes Denken.

Ich weiss es, sage es immer meinen Schülern, und doch trug auch ich diese Falle in mir.

Am Tag nach dem himmlischen Abflug las ich ein Zitat auf Facebook.

The artist prays by creating.

Dankbar nahm ich ihn entgegen, es war mein Satz, die Antwort auf die mich brennende Frage des Genügens.

Ich hatte in Miesenbach ein riesiges Werk erschaffen, vier grosse Leinwände bemalt. Ich, die Kleinmalerin, die sich auf einem Miniformat von maximal 10 x 10 cm sauwohl fühlt und bei A3 schon schmerzhaft überfordert ist. Ich malte vier Leinwände, nannte sie Lappen, und kam auf insgesamt 1m80 auf 4m Werk.

Und trotzdem hatte ich den Gedanken des Ungenügens.
Es wurde Zeit für mich, dieses Thema aus der Nähe zu beäugen.

Die zwei Wochen zwischen den Besuchen waren getragen von Auseinandersetzung mit mir und erfüllt von vielen unerwarteten Begegnungen.

Der zweite Besuch stand unter einem anderen Stern. Von Anbeginn an war ich damit konfrontiert, einerseits meine Korrektheit und auch Enge unter Betracht zu nehmen und andrerseits genau aus diesem Grund heraus, die Engel spontan bei Menschen anzusprechen.

Ich kam zu spät zum Empfangstermin, auweia, unvorstellbarer Faux-pas, und schon war es draussen. Ich empfing die Wesen lauthals im Van unter dem verwunderten Blick meiner Mitfahrerin. Und so erklärte ich mich kurz.

Aussprechen.
Ich wusste, dass es anstand.
Und da es ansteht, mache ich es.
So jetzt auch hier.
Ich sehe, wie es mit jedem Mal leichter wird. 

Wie es mir nicht mehr wichtig ist, was Andere über mich in diesem Bereich denken. Das war vor einiger Zeit noch nicht so. Und dabei hatte ich bereits mit Mitte 20 ein Erlebnis zwischen Leben und Tod, das mir in dieser Hinsicht durchaus auch die Augen geöffnet hatte. Doch dann hatte ich es irgendwann weggedrückt. Geht ja schliesslich ganz einfach. Alles, was stört, wegdrücken. Und hopp ist es verschwunden. Naja, jedenfalls sieht es so aus, wenn man überzeugt genug dran glaubt.

Heute Morgen schrieb ich bereits einen Blogartikel über Heilung, noch so ein schwieriges Thema für mich. Als ich fertig war, wusch ich mich und wollte schnell auf meinen Parkschein schauen. Ich hatte die Nacht auf einem Parkplatz Nähe Zentrum Krumlov verbracht, auf dem man auch mehrere Tage verbringen kann. Nach 12 Stunden fangen die grossen Zeiteinheiten an, 12 bis 24 Stunden, dann jeder weitere Tag.

Ich wollte einfach nachschauen, wann genau ich hineingefahren war am Vortag, da ich noch rasch zum Atelier Schieles gehen wollte, das musste ganz in der Nähe meines Autos sein.
Nur war der Parkschein weg!

Ich bin kein Verlierer, eher ein Verleger, und so begann ich zu suchen.

Ich habe drei Stunden gesucht, dermassen konnte ich es nicht fassen, dass ich ihn wohl tatsächlich verloren hatte. Ich glaube noch immer nicht daran, doch Tatsache ist, ich habe ihn nicht gefunden. Drei Stunden!

Ich fing schon an zu schimpfen, bat meine Himmelsbegleitung um Unterstützung, spürte den Drang, nach Draussen zu gehen und meine Wege vom Vortag abzulaufen. So ein Quatsch! Ausserdem wollte es nicht in meinen Kopf, dass ich den Schein wirklich und wahrhaftig verloren haben sollte. Ich wusste genau, wo ich ihn extra hingesteckt hatte, eben um ihn leicht wiederzufinden. Pustekuchen. Was ein Scheiss aber auch.

Irgendwann packte ich alles zusammen. Gut, dann muss ich mich halt irgendwo melden, keine Ahnung wo, damit ich Strafe zahlen kann und mich somit freikaufen.

Ich stieg aus dem Van aus, versuchte ein paar Menschen am Zahlautomaten anzusprechen. Keiner sprach deutsch oder sonst eine meiner Sprachen und wollte mir auch nicht recht zuhören.

Wie ein begossener Pudel schlürfte ich davon und rief meine Freundin an, um jemandem mein Leid zu klagen. Während ich ihr eine Nachricht hinterliess, inspizierte ich den Boden unter meinen Füssen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als einen Parkschein. Und da, was war da? Da lag doch etwas? Ich beugte mich und hielt plötzlich einen Schein in der Hand. Ich schaute aufs Datum. Heute. Früher nachmittag. Genau die Uhrzeit, als ich den Drang in mir verspürte, draussen zu suchen. Nur dass ich den Drang idiotisch fand und deshalb erst Stunden später rausging.

Ich bekam einen Tag geschenkt.

Ich war zutiefst berührt über diesen Zufall, den ich nicht Zufall nennen möchte. Nein, es war ein Geschenk. Und ja, ich glaube, es kam von meinen Gästen.

Ich ging zu Schiele’s Atelier, mein Van parkte tatsächlich um die Ecke. 

Ich hatte angenommen, dass dort das Schielemuseum war, doch ich hatte mich geirrt.
Und so folgte ich dem Plan und suchte das Museum.

Der Ort ist grandios, ich kann nur jedem Kunstliebhaber dieses Museum ans Herz legen. Es ist eine ehemalige Brauerei, die heute ein Museum, einen Shop, ein Bistro und mehrere Residenzen für Künstler beherbergt. 

Die Ausstellung war toll, Frauenschaun hiess sie. Fünf Frauen, fünf Welten. Dazu das Herz der Ausstellung über Schieles Leben mit seinen wunderbaren Werken. Ich betrat die ersten Räume und war wie weggeblasen.

Ich erlebte tiefe Ergriffenheit.

Das erlebe ich derzeit öfters. Sobald ich in den Osten komme beispielsweise. Meine slawische Seele bebt in mir.

Ich ging von Raum zu Raum, sog mich voll mit Eindrücken, zückte mein Notizbuch, um meine Gedanken niederzuschreiben. Ich arbeite gerade an meinem Jahresprojekt phoenix und auch an einem Dossier über meine Malerei. Dieser Museumsbesuch war eine lebendige Quelle der Inspiration für mich. Meine Gedanken sprudelten.

Irgendwann begriff ich.
Ich begriff mich.

Ich, die seit Jahrzehnten Mühe habe, mich als Künstler zu sehen, konnte mich plötzlich anerkennen. Ich konnte mich benennen. Ich wusste, dass hier der Kern meines Wirkens liegt.

Ich nehme das als Geschenk mit.

Hätte ich den Parkschein nicht verloren, ich wäre garnicht bis zum Museum gegangen. Mir hatte ein Tag in der Stadt genügt. Und irgendwie war mir am Vortag das Schielemuseum entgangen. Ich hatte mich auf Mucha konzentriert. Übrigens ebenso sehenswert.

Schiele hat mich, wie so oft in meinem Leben, gepackt. 

Ich bin seinen Spuren gefolgt. In Wien, in Neulengbach, in Krumlov. Tulln fehlt mir noch, das hole ich nach.
Schiele ist seit meiner Jugend fester Bestandteil meines Lebens.
Eine Liebe.
Und mit Schiele begriff ich heute mein Künstlersein. Ich begriff, dass dies meine Nennung ist, mein Weg, meine Kraft. 

Ja, ich arbeite mit Menschen und ich werde es weiterhin tun, doch mein Zentrum wird die Kunst sein. Das ist es, was mich erfüllt. Und mit der Kunst will ich Menschen erreichen. Sie in die Kunst hineinführen. In ihre Kunst. In ihre Entfaltung.

Mein Wandelweg führt über Abgründe, so sagte Schiele während seiner Gefängniszeit in Neulengbach.

Ich bin jedem meiner Abgründe dankbar, denn schlussendlich gaben sie mir die Flügel, die ich heute habe.