zerbrechlichkeit

Da ist sie.
Immer kommt sie unerwartet.
Lugt scheu um die Ecke meiner Seele.
Schüchterner und gesenkter Blick.
Nur ein Augenaufschlag trennt uns voneinander.
Nur ein Blinzeln.

Meine Zerbrechlichkeit.

Ich liebe sie.
Ich will sie.
Manchmal will ich sie so sehr, dass ich sie innerlich an den Haaren herbeiziehe.
Das ist natürlich Quatsch. Sie lässt sich nicht fangen.
Und schon gar nicht so.

Rüde bin ich.
Und wenn ich so bin, dann geht sie.

Meine Zerbrechlichkeit.

Sie ist mein Durchlass.
Sie ist so ungemein scheu, dass ich ganz zurücktreten muss, um ihr Raum zu geben.
Sie ist meine Stärke.
Meine Grösste von allen.
Sie ist mein Seelentor.
Sie ist der direkte Zugang zu all dem, was ich bin.

Meine Zerbrechlichkeit.

Sie ist der einzige Teil in mir, den ich nicht zähmen kann.
Sie ist wild.
Sie kommt und geht, wann es ihr passt.
Und selten im für mich richtigen Moment.
Wenn ich sie rufe, dann stellt sie sich taub.
Wenn ich sie nicht erwarte, dann haut sie mich um.
Immer wieder.

Meine Zerbrechlichkeit.

Sie lässt sich nicht benutzen.
Manchmal will ich das tun.
Ich will so gerne so durchlässig sein.
Will so gerne auch sie zeigen.
Den Menschen da draussen.
Will mit ihr als Heerführer in die Welt ziehen.
Ja, Welt, schau! Auch das ist möglich!

Dann schaut sie mich nur müde an und geht ihrer Wege.
Ich bin nicht deine Hure, Mimi…

Sie lässt sich nicht benutzen. Ganz sicher nicht von mir.
Sie ist viel zu integer, um ihre Seele an meine Ansprüche zu verkaufen.
Sie braucht keinerlei Anerkennung. Denn sie ist einfach.

Meine Zerbrechlichkeit.

Weil ich es weiss, dass sie meine Stärke ist, will ich sie.
Weil ich sie will, kommt sie nicht.

Meine Zerbrechlichkeit.

Ich bin froh, dass sie so stark ist.
So wild und so scheu.
Sie lehrt mich alles.
Ich bin traurig, wenn ich sie verjagt habe, weil ich wieder einmal so laut war.
Oder zu sicher.

Denn sie ist es, die mich zum Menschen macht.
Sie ganz alleine.
Sie ist es, die alle Teile in mir verbindet.
Sie ist der Kleber, das Garn, das Bindeglied.
Sie ist mein Zusammenhalt.
Sie ist mein Kern.

Meine Zerbrechlichkeit.

(2017)